Ethnographie und Musikpädagogik
Synergien, Differenzen, Erkenntnisse

Tagung am 14.-15. Mai 2022, Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover

Musikpädagogik und (Musik-)Ethnologie entwickeln aktuell ein wachsendes Interesse füreinander: Musikpädagog*innen befassen sich zunehmend mit ethnographischer Methodologie und lassen deren Haltung und Methoden in ihre Forschung einfließen. Dies ermöglicht Musikethnolog*innen, die sich ebenfalls mit musikalischem Lehren und Lernen befassen, in einen intensiveren Austausch mit musikpädagogischer Forschung zu kommen.

Von dieser Annäherung können beide Seiten profitieren: Musikpädagog*innen erhalten durch ethnographische Ansätze z.B. die Möglichkeit, Unterrichtssituationen und deren Kontexte alltagsnah zu erforschen. Sie können insbesondere jene weitreichenden Aspekte musikalischer Praktiken in den Blick nehmen, die implizit verlaufen und von den Akteur*innen im Feld nicht oder nur teilweise reflektiert werden. Darüber hinaus kann die Musikpädagogik von der Beschäftigung mit ethnographischer Methodologie grundlegend profitieren, da diese die erkenntnistheoretischen Diskussionen der qualitativen Forschung wesentlich geprägt hat. Aus ethnographischer Perspektive eröffnen sich spannende Antworten u.a. auf die Fragen: Was heißt qualitative Forschung in der Musikpädagogik? Welche Möglichkeiten und Grenzen hat sie? Welche Arten von Wissen entstehen im Rahmen dieser Art von empirischer Forschung? Wie können musikpädagogische Forscher*innen, die unterschiedlichen Methodologien folgen, in fruchtbaren Austausch miteinander kommen?

In der Musikethnologie werden solch grundlegende epistemologische Fragen, die in der Musikpädagogik aktuell an Bedeutung gewinnen, bereits seit langer Zeit breit diskutiert. Auch widmen sich ethnologische Forscher*innen seit den Anfängen ihrer Disziplin(en) der Frage, wie musikalisches Wissen und Können tradiert, gelernt und gelehrt wird. Musikethnolog*innen können daher von der aktuellen Hinwendung der Musikpädagogik zur Ethnographie profitieren: Sie erhalten die Möglichkeit, ihre Perspektiven in die musikpädagogische Diskussion einzubringen und zugleich ihre Theorien durch die Sichtweisen und Kenntnisse musikpädagogischer Forschung zu bereichern.

Mit der Tagung Ethnographie und Musikpädagogik möchten wir die Fachdiskussion, die sich aus der Annäherung beider Disziplinen ergibt, bündeln und vorantreiben. Wir laden alle interessierten Musikpädagog*innen und Musikethnolog*innen herzlich ein, an der Tagung teilzunehmen.

Im Fokus der Vorträge und Diskussionen stehen drei Themenschwerpunkte:

    - Ethnographische Methodologie als Basis für musikpädagogische Forschung

Verschiedene Vorträge widmen sich der Frage, wie ethnographische Methoden in musikpädagogischer Forschung eingesetzt werden können: Welchen Mehrwert für die Musikpädagogik hat ethnographische Forschung? Welche Schwierigkeiten erwarten Wissenschaftler*innen, die ethnographisch in der Musikpädagogik forschen möchten, und wie lässt sich mit ihnen umgehen? Inwieweit können sich musikpädagogische Praxiserfahrungen und ethnographische Forschungsperspektiven gegenseitig befruchten?

Den Startimpuls liefert die Erziehungswissenschaftlerin Anna Tervooren mit ihrer Keynote Ethnographische Forschungsstrategien als Zugänge zu Bildung und Erziehung. Frau Tervooren ist Professorin für Erziehungswissenschaft unter besonderer Berücksichtigung der Kindheitsforschung sowie Vorstandvorsitzende des Interdisziplinären Zentrums für Bildungsforschung an der Universität Duisburg-Essen. Sie hat über viele Jahre Felder der Pädagogik auf Basis ethnographischer Methodologie erforscht, hierzu wegweisende Studien veröffentlicht und die Methodendiskussion der Erziehungswissenschaft wesentlich mitgeprägt.

    - Ethnologische Perspektiven auf musikalische Bildungsprozesse

Musikethnolog*innen haben im Rahmen ihrer Forschung differenzierte Perspektiven auf musikalische Lehr- und Lernprozesse entwickelt. Insbesondere das für Ethnologie charakteristische Wechselspiel zwischen der Beforschung ‚fremder‘ und ‚vertrauter‘ sozialer Felder liefert Sichtweisen, von denen auch die musikpädagogische Diskussion profitieren kann. Mehrere Vorträge der Tagung liefern Einblicke in aktuelle ethnologische Forschung zu musikalischem Lehren und Lernen. Sie geben damit einen Impuls für die Diskussion, inwieweit ethnologische und musikpädagogische Perspektiven sich in ihren Ähnlichkeiten und Differenzen gegenseitig befruchten können.

Der Musikethnologe Raimund Vogels beleuchtet das komplexe Verhältnis beider Disziplinen und ihrer Sichtweisen in seiner Keynote Gegenstand und Methode – wie zwei Fächer sich aufeinander zu bewegen. Herr Vogels ist Professor für Musikethnologie an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover sowie ehemaliger Direktor des Center for World Music in Hildesheim. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen neben der musikwissenschaftlichen Forschung in Westafrika, mit besonderem Interesse an der Einbettung kolonialer Vergangenheit in heutige Narrative, Fragen an eine Applied Ethnomusicology vor dem Hintergrund der Sustainable Development Goals der United Nations

    - Aktuelle Ergebnisse ethnographischer Forschung in der Musikpädagogik

Aktuelle ethnographische Forschungsprojekte bereichern die musikpädagogische Diskussion in vielerlei Hinsicht: Sie liefern unmittelbare Einblicke in Unterrichtsinteraktionen, die z.B. in Interviewstudien nur mittelbar thematisiert werden können. Auch ermöglichen sie, die Perspektiven auf musikalische Bildungsprozesse zu weiten, die außerhalb des Musik- und Instrumentalunterrichts im engen Sinne stattfinden. Zahlreiche Vorträge der Tagung präsentieren aktuelle Forschungsergebnisse solch innovativer Forschung: Wie verlaufen informelle Lernprozesse im Familienkontext? Wie tradiert sich Musikkultur im Rahmen von Chören? Welche neuen Sichtweisen auf Lehrer*innenrollen ergeben sich aus der teilnehmenden Beobachtung von Unterricht?

Die Anmeldung ist bis einschließlich 11. April über folgende Mailadresse möglich:

nazfar.hadji@hmtm-hannover.de

Leitung und Organisation:

Jan Jachmann, Kunstuniversität Graz
Nazfar Hadji, HMTM Hannover
Andrea Welte, HMTM Hannover