Trauer um Hermann Josef Kaiser

Nachruf auf Prof. Dr. Dr. h.c. Hermann J. Kaiser

Am 4. August 2021 ist Hermann Josef Kaiser im Alter von 83 Jahren in Hamburg verstorben. Er war als externes Mitglied des Instituts für Musikpädagogische Forschung der HMTMH über viele Jahre verbunden. Auch deshalb verlieh der Senat der HMTMH im Oktober 2018 Hermann J. Kaiser die Ehrendoktorwürde und würdigte damit eine herausragende Persönlichkeit, die die Musikpädagogik in den letzten 40 Jahren auch über Deutschland hinaus geprägt hat.

Hermann Josef Kaiser hat wie kein zweiter die Entwicklung der Musikpädagogik als Wissenschaft vorangetrieben. Den Begriffen auf den Grund zu gehen, sie auf der Basis einer immensen Kenntnis der Literatur präzise zu bestimmen (und gegen deren oberflächliche Verwendung in Schutz zu nehmen) und immer weiter zu spezifizieren, war sein Anliegen. Sei es der Begriff der „Erfahrung“, den er musikspezifisch und im eigentlichen Sinne kritisch fasste; sei es der der „Musikpraxis“, den er gegen banale Missverständnisse von bloßem Machen abgrenzte und im Hinblick auf Schulpraxis nur als „verständige Musikpraxis“ akzeptieren wollte. Noch 2014/15 brachte er den Begriff des „Denkstils“, den der bis dahin in der Musikpädagogik nicht rezipierte polnische Erkenntnistheoretiker Ludwik Fleck entfaltet hatte, gegen den populäreren des Paradigmas wohl begründet in den Diskurs ein. Es ist nicht verwunderlich, dass Hermann Josef Kaiser wahrscheinlich der meistzitierte Musikpädagoge in Deutschland ist, der aber auch im Ausland, vor allem im ihm vertrauten Skandinavien, bis Südamerika gelesen wird.

Hermann Josef Kaiser hat sich wie kaum ein anderer um die Strukturierung der musikpädagogischen Szene bemüht. In verschiedenen Verbänden und immer wieder auch in Funktionen hat er sich eingebracht. Seine hohen Ansprüche an Wissenschaftlichkeit waren zugleich die Richtschnur dessen, was musikpädagogische Verbände bewirken und fördern sollten. Seinen immensen Erfahrungsschatz hat er immer wieder in verschiedenen Vorstandsfunktionen zur Verfügung gestellt und damit verhindert, dass alte Kämpfe erneut ausgetragen wurden, frühere Fehler wieder gemacht wurden, Fortschritte zurückgenommen wurden.

Hermann Josef Kaiser hat sich aber auch bis in dieses Jahr hinein in den Dienst des wissenschaftlichen Nachwuchses gestellt. Seine Fähigkeit, sich in Dissertationsprojekte einzudenken, gut und konzentriert zuzuhören, im positiven Sinne Kritik zu üben und Widersprüche nicht zu verwischen, sondern im Interesse der weiteren Arbeit produktiv zu machen, machten ihn zu einem gesuchten Ratgeber: u. a. beim AMPF, bei der EAS oder in seinem eigenen Doktorandenkolloquium, das immer auch offen für Gäste war. Nicht immer war für Doktorandinnen und Doktoranden einfach, seine Gedanken nachzuvollziehen, aber immer war klar, an welchen Stellen noch genauer nachzudenken sei, in welche Richtung ein Projekt sich weiter entwickeln ließe.

Hermann Josef Kaiser war – was für die wissenschaftliche Gemeinde nicht selbstverständlich ist – ein uneitler und warmherziger Mensch. Er war sich seiner Leistungen bewusst und erzählte (nach dem Tagungsprogramm beim Essen) gern, dass er in drei Disziplinen (als Professor für Wissenschaftstheorie, für Erziehungswissenschaft und für Musikpädagogik) Stellen innehatte. Sein Buch zu statistischen Methoden von 1972 verschwieg er gerne, dabei dokumentierte es die enorme Vielseitigkeit und die Breite seines Wissens. Aber nie stellte er seine eigenen Arbeiten heraus; alles Selbstbezügliche war ihm fern und wohl auch fremd.

Von seinen Überlegungen und vom Austausch mit ihm haben viele profitiert. Ganz sicher wird seine Stimme im Diskurs fehlen.