Trauer um Prof. Dr. Franz Amrhein

Das Institut für musikpädagogische Forschung (ifmpf) der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover trauert um Prof. Dr. Franz Amrhein.

Prof. Dr. Franz Amrhein 31.5.1935 - 10.10.2012

Prof. Dr. Franz Amrhein war Mitglied des Instituts und einer der drei Professoren, die das Institut für Musikpädagogische Forschung 1993 gründeten. Von 1987-1998 leitete er das Fachgebiet „Musik und ihre Didaktik“ in den Lehramtsstudiengängen für Grund- und Hauptschulen und Sonderschulen an der Hochschule für Musik und Theater Hannover. Wir verlieren einen liebenswerten und hoch engagierten Kollegen, dessen Wirken als Musikpädagoge von großer Humanität, von großer Kompetenz in der Förderung behinderter und nichtbehinderte Kinder und von der Entwicklung einer zeitgemäßen ganzheitlich orientierten Musikdidaktik geprägt war.

Nach dem Musik- und Pädagogik-Studium in München und Tätigkeiten als Organist und Chorleiter war Franz Amrhein 1963-1970 als Studienrat Gestalter des Bereiches „Musische Bildung“ der Höheren Fachschule für Jugend- und Sozialarbeit der Landeshauptstadt München. Hier gewann er erste Erfahrungen zum Aufbau einer ganzheitlichen Musikerziehung, die die Schwächeren der Gesellschaft im Fokus hat und fördernd und helfend Einfluss auf deren Lebensweg nehmen will – ein Leitgedanke, der zeitlebens die pädagogische und wissenschaftliche Arbeit von Franz Amrhein bestimmte. 1970 holte ihn die Philipps Universität Marburg als Oberstudienrat i. H. in den Fachbereich Erziehungswissenschaften, wo er den Aufgabenbereich „Musik/Ästhetische Erziehung in Sonder- und Sozialpädagogik“ bis 1987 verantwortlich wahrnahm. Als vom hessischen Kultusminister beauftragter Leiter der Arbeitsgruppe „Musik an Sonderschulen“ gelang es ihm in diesen Jahren, Rahmenrichtlinien und Unterrichtsmaterialien für den Musikunterricht an Sonderschulen zu entwickeln, die bundesweit große Beachtung fanden und Franz Amrheins Ruf als einer der bedeutenden Experten für den Bereich „Musik in der Sonderpädagogik“ begründeten. In der Fachdiskussion des jungen universitären Forschungsgebietes „Musik in der Sonderpädagogik“ griff man seine ab 1974 kontinuierlich erscheinenden musikdidaktischen Publikationen dankbar auf.

1983 legte er als erstes gewichtiges Zwischenfazit seiner Tätigkeit die empirische Studie „Die musikalische Realität des Sonderschülers – Situation und Perspektiven des Musikunterrichts an der Schule für Lernbehinderte“ vor, mit der er im gleichen Jahr an der Universität Dortmund, betreut von Werner Probst und Wolfgang Klafki, promovierte. Mit Lehraufträgen und Vorträgen an Universitäten bzw. Hochschulen in Braunschweig, Dortmund, Essen, Frankfurt/M., Gießen, Oldenburg, Rostock, Salzburg, Madrid und mit zahlreichen Kongressbeiträgen gab Franz Amrhein ab 1977 der Musiklehrerausbildung in der Sonderpädagogik und der fachdidaktischen Theoriebildung richtungsweisende Impulse. Seine 1999 ausbrechende ALS-Erkrankung, deren Auswirkungen er mit bewundernswerter Haltung ertrug, brachte diese fruchtbare Lehr- und Forschungstätigkeit zum Erliegen.

Als die Universität Hannover nach langer Lehrstuhlvakanz die organisatorische und inhaltliche Leitung für das Fach Musik in den Lehramtstudiengängen für Grund-, Haupt-, Real- und Sonderschulen kooperativ an die Hochschule für Musik und Theater Hannover übergab, befand sich erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland das Musikstudium aller Lehrämter in der Verantwortung einer Musikhochschule. Unmittelbar darauf berief sie 1987 Franz Amrhein aufgrund seiner umfangreichen Erfahrungen in der Musikdidaktik für Grund-, Haupt- und Sonderschulen zum Professor und ersten Studiengangsleiter im Lehrgebiet „Musik und ihre Didaktik“, das im Gebäude Bismarckstraße seine Räume hatte. Schon bald entwickelte sich die „Bismarckstraße“ zu einem Begriff in der musikpädagogischen Fachwelt und zum Ort umfangreicher schulrelevanter Musikpraxis. Legendär bis heute sind die vielen stilistisch wie medial vielfältigen Musikveranstaltungen, die nicht nur die „Bismarckstraße“ zum Ort experimentellen Musizierens in der Musikhochschule machten, sondern auch viel zur Vertiefung der Verbindung zwischen Musikhochschule und Universität beitrugen. Franz Amrheins Überzeugungskraft und Menschlichkeit, seine mitreißende Musikalität und seine Offenheit für Neues, verbunden mit einem kritischem Blick für unreflektierte musikpädagogische Routine, führten bald zum Aufbau einer studentischen „Bismarckstraßen-Identität“, deren didaktische wie künstlerische Kompetenz im Unterricht der zahlreichen Musiklehrerinnen und Musiklehrer lebendig ist, die im Gebäude Bismarckstraße studierten.

In seiner Amtszeit bis zur Emeritierung 1998 entwickelte Franz Amrhein für die niedersächsische Musiklehrerausbildung viele Innovationen. Dazu gehörten die grundlegende Ausprägung der Musikalität und Kreativität der Studierenden in möglichst vielen Bereichen, der Einbezug von Multimedia, die Entwicklung einer Förderpädagogik für Kinder an Grund- und Sonderschulen und die Integration von Bewegung und Tanz, die zu einer engen Kooperation mit dem Studiengang Rhythmik führte. Es war Franz Amrheins tiefgreifende Überzeugung, dass aufgrund der Ganzheitlichkeit musikalischen und ästhetischen Erlebens ein sinnvolles Musiklernen sich nur als körperliche Erfahrung mit Bewegen, Tanzen, Singen, Spielen, Malen, Hören, Sehen, Riechen, Tasten und Gestalten vollziehen kann. Diese Auffassung prägte die Inhalte seiner Lehrtätigkeit in Theorie und Praxis, diese Auffassung vermittelte er mit Enthusiasmus und Humanität seinen Lehramtsstudierenden.

Sein Buch „Den Musikunterricht auf die Füße stellen – die Bedeutung der Bewegung für musikalisches Lernen“ begründete 2001 als Band 1 die Monografie-Reihe des Instituts für Musikpädagogische Forschung Hannover. Es ist Franz Amrheins Vermächtnis an die Musikpädagogik.

                                                                               Karl-Jürgen Kemmelmeyer